dieUmweltDruckerei unterstützt gemeinsam mit unserer Kooperationspartnerin, der Aktionsgemeinschaft Artenschutz, den Artenschutz in Kenia. Bisher supporten wir „nur“ finanziell, doch nun wollen wir auch tatkräftig vor Ort mithelfen. Wir spenden und pflanzen 1.200 Mangroven-Setzlinge an der kenianischen Küste, um den Erhalt des natürlichen Lebensraumes der Tierwelt zu erhalten. Zudem leisten wir Aufklärungsarbeit, indem dieUmweltDruckerei 2.000 nachhaltig gedruckte Malbücher an die Kinder in der Küstenregion verschenkt, in denen auf spielerische Art über die Schutzbedürftigkeit von Meeresschildkröten erzählt wird. Dr. Kevin Riemer-Schadendorf reist stellvertretend für dieUmweltDruckerei nach Kenia und berichtet über seine Erfahrungen und Eindrücke.
Nairobi – Erste Impressionen einer ostafrikanischen Millionenmetropole
Nach über fünfzehnstündiger Anreise lande ich auf dem Jomo Kenyatta International Airport. Die unvermeidbaren Flüge und die damit einhergehenden CO2-Emissionen hat dieUmweltDruckerei selbstverständlich im Vorwege nicht nur über die Fluggesellschaft, sondern zusätzlich über myclimate kompensiert (zum Klimazertifikat).
Bevor ich den Flughafen verlassen darf, gilt es die Formalien zu erfüllen. Eine Ärztin des Gesundheitsministeriums prüft rasch meine Gelbfieber-Impfung und verteilt für Außenstehende scheinbar wahllos „Epidemiologische Überwachungsausdrucke für Ebola-Viruserkrankungen“.
Es ist schwül. Die Luft steht. Müde stehe ich in einer ewig langen Schlange vor der Passkontrolle, in der ich jede Menge Daten in ein Formular eintragen darf, die ich eigentlich bereits bei der Visa-Ausstellung angegeben hatte. Eine schwangere Frau bricht hitzebedingt neben mir zusammen. Schnell richte ich sie wieder auf und überlasse ihr mein Trinkwasser bevor ein zuständiger Sanitäter anrückt.
Vor dem Flughafen erwartet mich winkend mein Fahrer John, der mich gleich über das derzeitige Chaos am Flughafen aufklärt. Aufgrund der Übernahmegerüchte des Flughafens durch einen Investor und damit einhergehende Jobverluste streikt das Personal. Die Warteschlage der Fluggäste vor dem Flughafengebäude ist kaum zu überblicken. Er berichtet, dass die Polizei gegen die Proteste mit Tränengas vorgeht – es wurden sogar Passagiere und Mitarbeiter*innen verletzt.
Endlich im Auto sitzend werden wir nach wenigen hundert Metern von der Militärpolizei angehalten, die uns am Weiterfahren hindert. Warum erschließt sich für uns nicht. Wild gestikulierend redet John auf den behelmten Polizisten ein, der jedoch deutlich mit seiner Kalaschnikow abwinkend signalisiert, dass wir zu warten hätten. Auf was wir warten, wird uns einige Minuten später klar: Der kenianische Verkehrsminister oder gar der Präsident Uhuru Kenyatta selbst reist mit einem Konvoi aus schätzungsweise 20-30 dunklen SUVs an, der wiederum von der Militärpolizei mit Blaulicht und unter Sirenengeheul protegiert wird. Die Folge: Ein ewig langer Stau. Einige Autos brechen auf die staubig löchrige Steppe aus, um Vorwärts zu kommen; scheitern jedoch am unwegsamen Untergrund und reihen sich hupend wieder in die blecherne Kolonne aus Autos und LKWs.
Erst gegen Mitternacht erreiche ich erschöpft das Eco Camp vor den Toren der Hauptstadt, wo ich trotz später Stunde herzlich willkommen werde. Nach der obligatorischen Malaria-Tablette schließe ich das Moskitonetz meines Zeltes und freue mich, endlich schlafen zu können.
„Hakuna Matata“ – Die etwas andere Stadtrundfahrt
Nairobi begrüsst mich mit strahlendem Sonnenschein. „Das ist auch kein Wunder!“, erklärt mir John, „Es ist schließlich Trockenzeit. Das letzten Mal hat es glaube ich im September letzten Jahres geregnet!“
Bedingt durch den wenig ausgebauten und für Ausländer*innen kaum durchschaubaren öffentlichen Nahverkehr schlängeln auch wir uns hupend durch den dichten und teils chaotischen Verkehr der Landeshauptstadt, um zum Nairobi National Museum zu gelangen.
Schnell wird mir durch gläsern aufgebahrte Skelette und Schädel in Erinnerung gerufen, dass ich mich in Kenia in der Wiege der Menschheit befinde. Alle Hominidenfunde, die älter als zwei Millionen Jahre alt sind, stammen ausschließlich aus Afrika – genauer gesagt wurden unsere Vorfahren am Turkana-See im Norden von Kenia an der Grenze zu Äthiopien entdeckt. Nachdem ich mich ausführlich über die britische Kolonialgeschichte Kenias und den damit einhergehenden Freiheitskampf informiere, verlasse ich das Museum, um den Ausblick auf die Stadt genießen zu können.
Der Parkplatz zum Hochhaus des Kenyatta International Conference Centre (KICC) bleibt uns allerdings zunächst versperrt. Ein schätzungsweise kaum 18-jähriger Soldat mit grünem Barrett versperrt uns bewaffnet den Eingang und verdeutlicht, dass es nur VIPs vorbehalten sei, vor dem Gebäude zu parken. Nach kurzer Diskussion holt er einen ranghöheren Soldaten, der John mitteilt, dass wir gegebenenfalls doch parken dürften, wenn es ihm gestattet sei, einen Blick ins Innere des Autos zu werfen. John begreift das Schmiergeldangebot sofort, öffnet ihm die hintere Wagentür und lässt einen 500 Schilling-Schein (ca. 5 EUR) auf den Rücksitz fallen. Der Soldat schaut flüchtig ins Wageninnere, greift sich den Schein und lässt uns passieren mit einem reserviertem „Hakuna Matata!“ (Kisuaheli für „Alles ok“ oder „Keine Probleme“).
Kenia liegt beim weltweiten Korruptionsindex auf Rang 145 von 179 Ländern – nun habe ich hautnah miterlebt, warum das so ist. Bakschisch gilt hierzulande als gängiges und immer gern gesehenes Schmiermittel der Wirtschaft und Behörden.
Besuch in Kibera – dem größten Slum Ostafrikas
Wieder stehen wir im Stau. „Nairobi is a very busy city!“, ruft mir John immer wieder ins Gedächtnis. Stets gepaart mit einer beschwichtigenden Handbewegung und dem Kisuaheli-Ausspruch „Pole Pole“, was in etwa mit „Immer mit der Ruhe“ übersetzt werden könnte und ganz der kenianischen Lebensphilosophie entspricht.
In Nairobi leben schätzungsweise 2,5 Millionen Einwohner*innen in etwa 200 Slums – mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung! Unser Ziel ist Kibera – ein von kriminellen Banden kontrolliertes Elendsviertel im Südwesten der Stadt. „Wer Kibera nicht gesehen hat, kann Nairobi nicht verstehen!“, verdeutlicht John. Bei der Gründung 1920 soll die Einwohnerzahl bei über einer Million gelegen haben, was Kibera zum größten Slum Afrikas machte. Heute liegen die Schätzungen bei einer Viertelmillion Menschen, doch wer weiß das schon so genau bei einem nicht überschaubaren Meer aus teils über Nacht errichteten Wellblechhütten. Eigentlich trifft es das Wort ‚Meer‘ nicht genau – passender wäre wohl von einem ‚Wald‘ zu sprechen, denn Kibera leitet sich vom nubischen Wort ‚kibra‘ ab, was ‚Dschungel‘ bedeutet. Mein aktueller Reiseführer verdeutlicht das Elend des 2,5 Quadratkilometer großen Areals:
„Kibera has one pit toilet for every 100 people; the shanty town’s inhabitants suffer from an HIV/AIDS infection rate of more than 20%; and four out of every five people living here are unemployed.“
Mit anderen Worten: Es gibt nur ein öffentliches ‚Plumpsklo‘ für 100 Einwohner*innen; 20 % sind HIV-positiv und nur jede fünfte der Einwohner*innen hat einen Arbeitsplatz.
Besuch unseres adoptieren Babyelefanten im Nairobi-Nationalpark
Die Elefantenpopulation in Afrika geht jedes Jahr zurück – insbesondere in Tansania, Mosambik und Kenia. Der Hauptgrund liegt in der Wilderei. Um an das kostbare Elfenbein der Dickhäuter zu gelangen, werden die Tiere von Wilderern getötet und die Stoßzähne mit Sägen abgetrennt. Die zu erzielten Schwarzmarktpreise auf dem japanischen oder chinesischen Markt lassen in den strukturschwachen Regionen Afrikas jedweden Tierschutz vergessen.
„Auf dem afrikanischen Kontinent lebten im Jahr 2013 noch 470.000 Elefanten in freier Wildbahn. Im Jahr 2006 waren es noch 550.000 Tiere gewesen. Mit etwa 25.000 bis 30.000 getöteten Elefanten pro Jahr übersteigt die Todeszahl die Zahl der neu geborenen Elefanten in Afrika. (…) Wenn die Entwicklung nicht gestoppt werde, drohe der afrikanische Elefant in ein bis zwei Jahrzehnten auszusterben.“
Neben der Wilderei gilt als weiterer elementarer Grund für den Populationsrückgang der ‚Human-Wildlife Conflict‘. Durch die Ausbreitung menschlicher Siedlungen in ehemals naturbelassene Lebensräume der Elefanten ist der Konflikt zwischen Menschen und Tieren programmiert. Die Elefanten weichen zwangsweise auf Gebiete aus, die landwirtschaftlich genutzt werden. Die ansässigen Bäuerinnen und Farmer verteidigen wiederum ihre Aussaat und Ernte mit Schusswaffen.
Ein ähnliches Schicksal ereilte wohl auch unserem Elefanten-Patenkind, dem kleinen Maktao. Er wurde alleine im Juli 2017 ohne Mutter und Herde an der Grenze des Tsavo-West-Nationalparks gefunden. Völlig dehydriert wurde die schutzlose Elefantenwaise vom Rettungsteam des Sheldrick Wildlife Trust per Hubschrauber gerettet.
Zu Beginn war er unruhig und stets auf der Suche nach seiner Mutter, berichten mir seine Pfleger*innen, doch glücklicherweise wurde er wohl behütet von der Herde des Nairobi National-Parks aufgenommen. Insbesondere zwei gestandene Elefantendamen, Mbegu und Godoma, haben sich seiner angenommen. Die beiden Leihmütter kümmern sich rührend um Maktao – zumindest so lange bis er in einigen Jahren in den Tsavo East-Nationalpark ausgewildert werden kann. Die Bedingung ist indes, dass die wilden Elefanten Maktao als vollwertiges Herdenmitglied akzeptieren. Bis dahin wird dieUmweltDruckerei den kleinen Maktao weiter mit Spenden unterstützen.
Weltfrauentag im Karen Blixen-Museum
Bevor es nach Watamu an die kenianische Küste zum eigentlichen Schildkröten-Projekt geht, darf am internationalen Weltfrauentag ein kurzer Zwischenstopp im Karen Blixen-Museum natürlich nicht fehlen. Die dänische Schriftstellerin und kenianische Kaffee-Matriarchin ist den meisten vielleicht eher aus dem Film Jenseits von Afrika (Out of Africa) bekannt.
Exkurs: Ein Versuch ‚Afrika‘ zu verstehen, mithilfe des Buches von Felwine Sarr
Mit einer wackeligen Propellermaschine lande ich etwas unsanft auf dem Flughafen von Malindi. Mein Fahrer Eliyah begrüßt mich herzlich und mit dem Jeep geht es Richtung Watamu, wo das Team der Local Ocean Conservation (LOC) bereits auf mich wartet und mich mit freundschaftlichen Umarmungen willkommen heißt.
Dass die Kenianer*innen gastfreundschaftlich sind, habe ich bereits in Nairobi festgestellt und dennoch bin ich wieder einmal positiv überrascht über die afrikanische Willkommenskultur. Eine ‚Afrikanische Willkommenskultur‘? Kann und darf bei 55 afrikanischen Ländern und bis zu 3.000 Sprachen und ebenso vieler Völker überhaupt von einer gemeinsamen Kultur gesprochen werden? Ich habe nunmehr sowohl Nord- als auch Süd- sowie West– und Ostafrika bereist und erlaube mir daher, zumindest eine gewisse Gemeinsamkeit feststellen zu dürfen. Doch halt – schon wieder möchte ein Nicht-Afrikaner wertend über ein afrikanisches Land oder gar Afrika als Ganzes schreiben? Da bediene ich mich doch wohl besser der Worte des senegalesischen Wissenschaftlers Felwine Sarr und zitiere aus seinem mehr als empfehlenswerten Buch Afrotopia:
„Der afrikanische Kontinent ist vielfältig. Von Algier bis zum Kap der Guten Hoffnung stellt er sich dar als Schmelztiegel der Kulturen und Völker; der Geschichtsverläufe und Geografien, der sozialen und politischen Organisationsformen, der Zeitlichkeiten. Doch ungeachtet dieser Vielfalt, die einen Teil des afrikanischen Raumes ausmacht, teilen die Nationen des Kontinents dasselbe Schicksal. Sie stehen vor denselben historischen Herausforderungen, haben dieselbe jüngere Geschichte, sind vor allem aber auch in dem Projekt eines Afrika geeint, das wieder über sich selbst herrschen, sein eigener Leitstern werden soll.“ (S. 27)
Felwine Sarr plädiert dafür, Afrika nicht mehr aus der Perspektive und den Maßstäben des Westens als ‚Entwicklungsland‘ zu bewerten oder gar als ‚Rohstofflager‘ oder ‚Elendsgebiet‘ zu degradieren. Er hält ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, dass nur allzu häufig wirtschaftliche Belange über die Interessen von Mensch, Tier und Natur stellt für wenig nachahmens- oder gar erstrebenswert; zumal das westliche Entwicklungsmodell die soziokulturellen Hintergründe des afrikanischen Kontinents gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt (vgl. ebd. S. 123 und 152). Vereinfacht ausgedrückt: Niemand fragt die Afrikaner selbst, wie sie sich die Zukunft ihres (!) Kontinents eigentlich wünschen.
Ich könnte noch viel über das Buch und die Vorstellungen Sarrs schreiben, denn es ist ein wahrer Quell an inspirierenden Gedanken, wissenschaftlichen Erkenntnissen und spannenden Literaturempfehlungen. Einen letzten Punkt möchte ich jedoch noch hervorheben. Einer seiner Hauptkritikpunkte beim westlichen Entwicklungsmodell ist die Vernachlässigung afrikanischer Werte und Normen. Sarr schreibt von Würde, Gemeinschaftlichkeit und Gastfreundschaft sowie über Ehrgefühl und Bescheidenheit (vgl. ebd. S. 156). Was er genau damit meint, durfte ich gleich am ersten Abend in dem Lebensmittelladen von ‚Mama Lucy‘ erfahren.
Um nicht jeden Tag ins Restaurant gehen oder mich einer der zahlreichen Essensstände bedienen zu müssen, decke ich mich mit Brot, Wasser und Früchten bei Mama Lucy ein. An der Kasse fehlen mir am Ende jedoch rund 500 Schilling (etwa 5 EUR), um meine Rechnung bezahlen zu können. Eine kenianische Lady in der Schlange fragt mich, ob sie mir eventuell mit etwas Kleingeld aushelfen dürfte, was ich völlig überrascht sofort verneine. Mama Lucy sitzt seelenruhig hinter der Kasse, notiert etwas auf meiner Quittung, schaut mich kurz an und entgegnet mir: „Ok, hakuna matata, pay tomorrow.“ Zwei Kenianerinnen bieten mir, einem völlig Fremden Ausländer, den sie vermutlich nie wiedersehen, sofort vertrauensvoll ihre Hilfe an, in dem sie mir selbstlos Kredit anbieten.
Ich denke, nun habe ich die Worte Sarrs begriffen, der von afrikanischen Werten, wie Gemeinschaftlichkeit, Gastfreundschaft und Ehrgefühl schreibt. Die Frage, nach welchen Maßstäben, afrikanische Länder und deren Menschen bewertet werden sollten, sehe ich nun in einem völlig anderen Licht. Gerne würde ich den Versuch unternehmen, Mama Lucy nach Deutschland einzuladen, um sie an der Kasse von Aldi oder Edeka nach einem Kredit fragen zu lassen. Der Versuch ist vermutlich müßig, denn die Antwort kennen wir wohl alle. Nun darf jede/r noch einmal für sich selbst überlegen, inwiefern eine Gesellschaft als ‚entwickelt‘ gilt.
Tödliches Plastik
Endlich bin ich in dem Meeresschildkröten-Projekt angekommen, das wir unter anderem über die Aktionsgemeinschaft Artenschutz mit Spenden unterstützen. Hier möchte ich beim Schutz und bei der Rettung der Tiere mithelfen, um die Arbeit unserer Kooperationspartnerinnen besser kennenzulernen. Doch die erste Meeresschildkröte, die ich zu Gesicht bekomme, ist ein totes Jungtier. Die unerfahrene Schildkröte hat mehrere scharfkantige Plastikteile verschluckt, die ihre Magenwand verletzt hat, wodurch sie innerlich verblutet ist. Kein schöner Einstieg. Willkommen in der Welt der Arten- und Tierschützer*innen.
Gemäß einer Studie hat eine Meeresschildkröte statistisch bereits eine Sterbewahrscheinlichkeit von 50 %, wenn sie „nur“ 14 kleine Plastikteile verschluckt. Wenn bedacht wird, dass 2050 mehr Plastik als Fische im Meer vorhanden sein wird, dann sind das nur wenig optimistische Aussichten für das (Über-)Leben der Meerestiere. Eine wichtige Arbeit der Teammitglieder vor Ort ist daher die Reinigung des Strandes vom Plastikmüll.
Den Plastikmüll einzusammeln oder kunstvoll ‚upzucyceln‘, ist natürlich sinnvoll – zumindest als reaktive Maßnahme; jede verantwortungsbewusste Konsument*in sollte jedoch dazu beigetragen, Plastikmüll gar nicht erst entstehen zu lassen: Kauft daher, wenn immer es möglich ist, plastikfrei ein, denn der Großteil des Meeresplastikmülls stammt vom Land und wird über die Flüsse ins Meer getragen! Wenn Ihr den Schutz der Meeresschildkröten unterstützen möchtet, könnt Ihr hier für die Arbeit der Artenschützer*innen spenden.
Auf nächtlicher Patrouille für den Nachwuchs der Meeresschildkröten
In der Abenddämmerung machen wir uns auf den Weg in Richtung Watamu-Strand. ‚Wir‘ – das sind die erfahrenen Meeresschildkröten-Experten Newton und Carlos sowie die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Aurelia und Miia sowie meine Wenigkeit. Unsere erste Aufgabe: Spurensuche! Spuren von gigantischen Meeresschildkröten, die hier am Strand von Watamu ihre Eier legen.
Die weiblichen Meeresschildkröten suchen die Ruhe und Dunkelheit der Nacht. Jedweder Lärm und Licht der anliegenden Hotels ist den Schildkrötenschützer*innen ein Dorn im Auge, denn sie wissen genau, dass die Meeresschildkrötendamen nur ihre Eier legen, wenn sie ein ruhiges und abgeschiedenes Plätzchen finden. Auch wir tragen dunkle Klamotten. Laute Geräusche, weißes Licht und selbst Parfum sind verboten.
In zwei Grüppchen aufgeteilt, observieren wir den Strand. Das gleisende Mondlicht scheint auf den weißen Sand und wird sanft durch das Rotlicht unserer gedimmten Lampen gefärbt. Wellen und Wind rauschen gleichmäßig dahin und untermalen einen atemberaubenden Sternenhimmel. Von der Magie der Nacht lassen sich sogar Miia und Aurelia anstecken, die tagsüber, ein durchaus beachtliches Kommunikationsvolumen ihrer Umwelt oder ihrem Smartphone zuteil werden lassen. Doch nicht diese Nacht. Schweigend schlendern auch sie barfuß parallel zur Brandung.
Nach einer guten Stunde hebt der vorausgehende Newton den rechten Arm und weist uns per Fingerzeig zu einer anliegenden Böschung unter einem Palmenhain. Was für mich zu Beginn wir ein dunkler Hügel aussieht, der hier und da Sand in die Luft schleudert, entpuppt sich unter dem roten Schein meiner Lampe als eine ausgewachsene Grüne Meeresschildkröte von gut 130 cm Länge und mindestens 150 kg Gewicht, wie Carlos schätzt. Während ihrer Eiablage lassen wir die Schildkrötendame in Ruhe und halten gebührend Abstand. Eine gute Stunde später beginnt sie, ihre etwa 120 tischtennisballgroßen Eier mit ihren Flossen mit Sand zu bedecken. Ein guter Moment sie zu Vermessen und die genaue Position des Nestes zu bestimmen.
Immer wieder unterbricht sie ihre Bemühungen. Sie hat leider ihren Nistplatz in der Nähe eines Strandhotels ausgewählt. Die Folge: Sie stößt beim Graben immer wieder auf Glas- und Plastikflaschen, die sie anscheinend irritieren. Zudem liegt ihr Nest in mitten eines Souvenirstandes, der seitlich mit Beton ausgegossen ist. Verzweifelt versucht sie den harten Beton mit ihren Flossen zu bearbeiten, um den erwarteten Sand auf die Eier zu wischen. Vergeblich. Wir entfernen die Flaschen und schaufeln weichen Sand auf den Beton, den die Meeressschildkröte dann gleichmäßig auf das Nest verteilt. Eine weitere Stunde später, robbt das erschöpfte Reptil Richtung Indischen Ozean. Noch weiß weder sie noch wir, ob die Eier unter der Erde verweilen können. Sie hat einfach zu dicht am Hotel ihre Eier gelegt. Ein falscher Tritt, ein zu tief versenkter Sonnenschirm und 130 Schildkörtennestlinge werden nie das Licht der Welt erblicken.
Auf der Suche nach dem Goldenen Rüsselhündchen
Goldenes Rüsselhündchen? Goldenes Rüsselhündchen! Eine endemische Art, die nur im Arabuko-Sokoke-Nationalpark an der Küste Kenias vorkommt. Doch was ist ein Goldenes Rüsselhündchen? Der erste Satz auf Wikipedia macht einen nicht wirklicher schlauer; hier wird es als „eine Säugetierart aus der Familie der Rüsselspringer“ beschrieben – ach so.
Nach der täglichen Meeresschildkröten-Arbeit sitzt unser Team am Nachmittag im Jeep Richtung Nationalpark, um sich auf die Suche nach dem unbekannten Wesen zu machen. Auf meine Frage, was denn nun ein „Golden-rumped elephant shrew“ sei, so der englische Name, antwortet Teamleiterin Ruth verhalten: „It‘s a…“ und beschreibt mit ihren Händen in der Luft diffus eine etwa dackelgroße Gestalt, räuspert sich und winkt dann gleich wieder aber ab – „You‘ll see…“.
Armut gefährdet den Arabuko-Sokoke-Nationalpark
Der Wald des Nationalparks ist durch seine einzigartige Flora und Fauna vom unschätzbaren Wert. Einst erstreckte sich der Küstenwald bis Mosambik, doch das war einmal.
„Auf einer Fläche von nur 420 Quadratkilometern beherbergt der Wald rund 250 Schmetterlingsarten, 230 Vogelarten, 40 Säugetierarten sowie ca. 600 Pflanzenarten – darunter viele seltene Arten, die nur hier vorkommen.“
Doch warum schrumpft diese Schatztruhe der Natur? Um den Nationalpark leben rund 7.300 Haushalte in 35 Dörfern, die ca. 40 % ihrer lebensnotwendigen Ressourcen aus dem Wald beziehen. Der Versuch den Großteil des Waldes als Nationalpark auszuweisen, scheiterte dementsprechend am Widerstand der angrenzenden Bevölkerung, die aufgrund fehlender Alternativen abhängig sind von den Früchten und vor allem dem Holzbestand des Waldes.
„Armut überwindet alle Zäune“, philosophiert Sammy, der in dem Gebiet großgeworden ist und uns durch den Park führt. Sammy arbeitet für unser Schildkröten-Projekt, doch nebenbei betreutet er noch sein ‚Maniok-Projekt‘. „Die Menschen lieben den Wald, doch was bleibt ihnen anderes übrig. Wenn ich mich entscheiden müsste, entweder illegal Holz zu schlagen oder meine Familie beim Hungern zu zusehen, würde ich mich notgedrungen auch für den Holzeinschlag entscheiden.“ Sammy möchte den Dorfbewohner*innen daher eine echte Alternative zum Raubbau an der Natur bieten. Er baut in einem Feldversuch Maniok an, das als Grundnahrungsmittel der Anwohner*innen (ähnlich wie bei uns Kartoffeln) oder als Futtermittel für die Tiere verwendet werden kann. In Teilen könnte es auch als Feuerholz eingesetzt werden, prognostiziert Sammy.
Der Wald als Quelle für Heilpflanzen
Auf dem Weg durch das Unterholz stoppt Sammy immer wieder vor Bäumen, Blumen und anderen Pflanzen. Er referiert fachmännisch über die Zubereitung bestimmter Pflanzenteile und der damit einhergehenden medizinischen Wirkung. Die Frucht des majestätischen Affenbrotbaums (Baobab) hilft beim Abnehmen, wohingegen der stachelige Drachenbaum genau das Gegenteil bewirkt, denn aus ihm lässt sich ein anregender Aperitif gewinnen.
Ein paar Schritte weiter deutet er auf die Borke des Niembaumes – aufgekocht, bekämpft das darin enthaltende Chinin wirkungsvoll die Malaria-Parasiten im Blut des Erkrankten. Das kann ich bestätigen, da auch ich im letzten Jahr in Togo an Malaria Tropica erkrankte. Ich berichte Sammy, dass die Togolesen gegen die tödliche Tropenkrankheit, die Artemisia annua-Pflanze als Heißgetränk zu sich nehmen. Der darin enthaltene Wirkstoff Artemisinin wirkt ähnlich wie Chinin und könnte für die Anwohner*innen der Küste eine kostengünstige Alternative zur (zu) teuren Schulmedizin sein oder beispielsweise bei Chinin-Unverträglichkeit. Sammy notiert sich meine Erfahrungen in sein stets griffbereites Notizbuch. Als ich ihm berichte, dass ich als Notfalltee noch getrocknete Artemisia annua-Pflanzen und damit deren Samen bei uns im Projekt hätte, kommen wir auf die Idee, die Pflanze auch im Garten des Meeresschildkröten-Projekts testweise anzupflanzen. Wenn sich die Idee als umsetzbar und aus medizinischer Sicht als zielführend erweist, könnte an diesem Nachmittag ein neues Projekt zum Wohl der Region geboren sein.
Arbeitslosigkeit bedingt Wilderei
Durch die hohe Arbeitslosigkeit in der Region, ist die Bevölkerung leider leichter zu motivieren, sich an der Wilderei im Nationalpark zu beteiligen. Naturschutz darf daher nicht ohne die anliegenden Gemeinden und deren Probleme gedacht werden. Denn was nützt der beste Tierschutz, wenn die Dorfbewohner*innen hungern? Projekte, wie der Maniokanbau von Sammy, sind daher indirekt, der beste Artenschutz, der vor Ort geleistet werden kann.
Die Wilderei macht auch vor den größten Bewohnern des Nationalparks nicht halt – dem Afrikanischen Elefanten. Wir durchstreifen den Dschungel auf der Suche nach den Dickhäutern. Unser Ziel: Eine Lichtung am Rande des Waldes. Hier liegt in der derzeitigen Trockenzeit eines der letzten nicht ausgetrockneten Wasserlöcher des Nationalparks. Laut Sammy stünden gen Abend die Chancen gut, dass wir die Buschelefanten hier zu Gesicht bekommen. Sammy sieht die Giganten des Waldes schon eine Minute vor uns. Ein knackender Ast, ein sich entgegen dem Wind biegender Baum und plötzlich steht eine Herde von gut 15 Tieren vor uns.
Beifang – Fischernetze als tödliche Falle für Meeresschildkröten
Der Bestand der Meeresschildkröten-Populationen ist weltweit bedroht. Ein Grund: Sie landen als Beifang in den Netzen der Fischer*innen. Wie alle Reptilien benötigen die Meeresschildkröten Luft zum Atmen; unter Wasser im Netz gefangen, ertrinken sie elendig. Wie viele Meeresschildkröten tatsächlich verenden, ist schwer zu beziffern, denn die Dunkelziffer ist leider erschreckend hoch. In den letzten gut 20 Jahren sind vermutlich Millionen von Meeresschildkröten als Beifang in der Fischerei gestorben.
Das Team der Local Ocean Conservation (LCO) möchte dem regional entgegenwirken. Sie kooperieren mit den Fischer*innen vor Ort. Sobald sich eine Meeresschildkröte im Netz verfangen hat, rufen die Fischer*innen bei LCO an und melden den Fund, dafür erhalten sie eine Aufwandsentschädigung, die deutlich unter dem Schwarzmarktpreis für Meeresschildkröten liegt. Das Vertrauensmodell beruht also auf Tierliebe und nicht auf ökonomischen Kalkül.
Unsere Mangroven-Pflanzung für den Artenschutz
Artenschutz kann auf direktem Wege erfolgen, zum Beispiel durch eine Tierrettung, aber auch auf indirektem, beispielsweise durch die Sicherung des Lebensraumes der Tiere.
Mangroven zählen zu den produktivsten Ökosystemen der Erde und sind wahre Überlebenskünstler. Mangrovengebiete werden regelmäßig vom salzigen Meereswasser überspült – generell keine gute Voraussetzung, denn das Salz wirkt in den Zellen einer Pflanze als Gift. Es unterdrückt die Proteinsynthese und die Aktivität von Enzymen. Die Mangrovenbäume sind jedoch salztolerant, indem sie das aufgenommene Salz über Drüsen der Blätter wieder ausscheiden. Die Mangrovenwälder mit ihren Baumkronen und dichtem Wurzelwerk bilden ein lebensnotwendiges Habitat für Tiere aller Art.
Die Mangroven-Bestände sind jedoch durch Umweltverschmutzung sowie Abholzungen gefährdet, um beispielsweise Platz zu schaffen für wirtschaftliche oder touristische Flächen. dieUmweltDruckerei spendet daher 1.200 Setzlinge zur Aufforstung der Mangrovenwälder.
Das statistische Überleben einer Meeresschildkröte
Von den fünf Gattungen der Meeresschildkröten, die in den Gewässern vor Watamu vorkommen, kommen nur zwei zur Eiablage an den Strand. Die Grüne Meeresschildkröte und die Echte Karettschildkröte. Die Nester werden von unserem Team überwacht und bei Bedarf umgesetzt, wenn das Nest beispielsweise in einem Bereich vergraben wurde, der touristisch stark genutzt wird und dadurch gefährdet ist.
Zwischen Vorurteilen, Tradition und Fortschritt
Beim Schlendern durch den Arabuko-Sokoke-Nationalpark stehen wir plötzlich auf einem sandigen Platz – kreisförmig um uns herum reihen sich mannshohe Grashütten auf.
Dickson aus unserem Team erkennt sie sofort. „Das sind die Hütten meiner Vorfahren. Ich gehöre zum Stamm der Giryama.“
Überrascht frage ich ihn, ob auch er in solch einer Hütte lebe.
„Nein, auch meine Eltern nicht mehr. Ich habe noch ein altes Foto meiner Großeltern, die noch in diesen Grashütten gelebt haben. Jeder gehört ja zu irgendeinem Stamm, aber das heißt ja nicht, zu leben wie vor 100 Jahren. Viele Weiße haben noch die Vorstellung, dass alle Menschen in Kenia in Stammestracht vor ihren Lehmhütten ums Lagerfeuer sitzen. Aber so ist das wohl, wenn man noch nie einen Kenianer gesehen hat, dann macht man sich seine eigene Vorstellung, die mit der Realität zumeist nicht übereinstimmt.“
Bevor er beim Schildkrötenrettungsteam anfing zu arbeiten, berichtet er, hatte er kaum bis gar keinen Kontakt zu Ausländern. Deutsche waren in seiner Vorstellung Menschen in Lederhosen und Dirndl, die den ganzen Tag Bier trinken. Nun weiß er, dass es Blödsinn ist.
„Aber hin und wieder sehe ich schon traditionell gekleidete Kenianer*innen“, hake ich nach. „Am Eingang des Parks war beispielsweise ein geschmückter Mann, der in ein rotes traditionelles Tuch gewickelt war.“
„Ja, richtig. Das war ein Massai, der eine Shuka trug. Die Massai sind aber nur eine der rund 40 Volksgruppen in Kenia. Sie legen viel Wert auf Traditionen. Aber wie gesagt, jeder Stamm ist halt anders und man dürfe das nicht verallgemeinern. Die meisten Kenianer tragen wie du siehst ganz normale Klamotten“, wobei er auf sein Shirt, seine Jeans und Flip Flops deutet.
„Ist vermutlich so ähnlich wie bei uns in Deutschland“, entgegne ich verschmitzt, „Der ‚Stamm‘ der Bayern legt halt mehr Wert auf traditionelle Kleidung, wohingegen der Sachse oder die Westfälin ganz normale Klamotten trägt.“
Dickson lacht, „Ja, ich denke, so in etwa kann man das vergleichen. Wenn du willst, dann zeige ich dir aber gerne ein traditionelles Massai-Dorf.“
Das Angebot lass ich mir nicht zweimal sagen und wir fahren mit dem Jeep ins Landesinnere.
Ein tierischer Ausflug in den Tsavo East-Nationalpark in Bildern
Der Abschied
Mit einem Matatu geht es Richtung Mombasa, der wohl wichtigsten Hafenstadt Ostafrikas. Matatus sind kunstvoll bemalte Kleinbusse mit zumeist lauter Musik. Die Fahrweise der eng besetzten Sammeltaxis ist, um es vorsichtig auszudrücken, „recht sportlich“ und daher nicht immer ganz ungefährlich. Der Name Matatu leitet sich übrigens von dem Swahili-Begriff „ma tatu“ – „für drei“ ab. Damit waren einst drei kenianische Schilling gemeint, also ein Pauschalpreis, der während der Kolonialzeit in Nairobi für jede Strecke gleichermaßen galt.
Zweimal werden wir auf dem Weg zum Flughafen nach Mombasa angehalten. Militärs werfen einen argwöhnischen Blick ins Wageninnere, befragen den Fahrer und prüfen mit Spiegeln den Unterbau des Minibusses.
„Was sollen die Kontrollen?“, frage ich eine Mitfahrerin.
„Die Suchen nach al-Shabaab-Milizionären. Die militante Terrororganisation macht besonders an der Grenze zu Somalia immer wieder Probleme“, erklärt sie weiter, winkt genervt ab und schnalzt mit der Zunge.
„Aber wie wollen die Militärs die islamistischen Milizen denn erkennen?“, frage ich und füge leicht scherzhaft an: „Bin ich als Ausländer mit Vollbart nun generell verdächtig?“
Mit großen Augen blickt sie mich verständnislos an: „Nein, einen ‚bösen Menschen‘ oder Terroristen erkennt man doch nicht an seinem Äußeren oder seiner Herkunft!“ Sie schüttelt mit dem Kopf als hätte ich gerade etwas ganz Dummes gesagt. Habe ich ja auch…