Hier gehts zum ausführlichen Reiseblog über die Radtour zum polnisch-weißrussischen Nationalpark. Der neueste Beitrag steht immer oben. Aktuelles über unsere #Spendenradtour findet Ihr auch auf Facebook, Instagram oder Twitter. Vielen Dank im Voraus fürs Spenden, Liken und Teilen!
01. – 07. August / Extratour ins weißrussische Minsk
Trotz einer einstweiligen Anordnung des Europäischen Gerichtshof wird im polnischen Urwald weiter abgeholzt. Die Unterstützung der WaldschützerInnen und die mediale Aufmerksamkeit für die Naturzerstörung müssen somit fortgeführt werden. Ich radle daher weiter, um mir vergleichsweise den weißrussischen Urwald anzusehen. Dieser steht nahezu komplett als Nationalpark unter Schutz – auf polnischer Seite ist (leider) nur ein kleiner Teil Schutzgebiet.
Aufgrund der Visaformalitäten für Weißrussland ist der Nationalpark jedoch touristisch nahezu verwaist. Auf meiner Fahrt durch den Urwald treffe ich keinen Menschen; ursprünglicher gehts es kaum. Einfach großartig. Die Schönheit des weißrussischen Nationalparks motiviert mich, weiter zu fahren und damit die Spendenradtour zumindest symbolisch, noch ein wenig fortzuführen, um zu verdeutlichen, dass der Kampf um den letzten Urwald Europas leider noch nicht gewonnen ist.
Mein Weg durch Weißrussland führt mich vom Brester bis zum Minsker Oblast („Bundesländer“). Als ich mein Ziel in Minsk erreiche, habe ich nunmehr 2.280 km mit dem Bambusrad von unserem Firmensitz in Hannover bis in die weißrussische Hauptstadt zurückgelegt. Ohne vorheriges Training.
Die überwundenen Höhenmeter überraschen mich ein wenig: 8.180 hm. Sofern man nur die Höhenmeter betrachtet, bin ich zum Vergleich in etwa den höchsten Berg der Welt hoch geradelt.
Auch wenn der polnische Urwald noch nicht gerettet ist, hoffe ich, dass sich einige LeserInnen für das Fahrrad als nachhaltiges Fortbewegungsmittel begeistern konnten. Eine durchschnittlich Autofahrt ist schließlich nur 15 km lang – vielleicht fühlen sich gesundheits- und umweltbewusste Menschen ja motiviert, den Benziner oder Diesel stehen zu lassen und sich stattdessen aufs Rad zu schwingen; ich würde mich freuen 🙂
27. – 31. Juli / Im Urwald von Białowieża
Ankunft im Nationalpark von Białowieża. Dieser gliedert sich in einen öffentlich zugänglichen und einen kleineren, streng geschützten Bereich. Im letzteren darf nur ein vier Kilometer langer Rundweg in Begleitung lizenzsierter Parkranger betreten werden – der Rest ist ausschließlich der Natur und WissenschaftlerInnen vorbehalten.
Der öffentliche Bereich des Nationalparks
Im streng geschützten Teil des Urwaldes
Besuch des Protestcamps in Pogorzelce
Dokumentation der Abholzungen vor Ort
Aktiver Protest gegen die weitere Urwaldzerstörung
Das beste zum Schluss
Es sind viele kleinen Aktionen, die letztlich helfen, die Natur zu schützen. Ein wichtiges Etappenziel ist seit dem 28. Juli erreicht: Der Europäische Gerichtshof hat in einer einstweiligen Anordnung verfügt, dass die Abholzung des Urwaldes sofort gestoppt werden muss. Es ist zwar vorerst nur ein vorübergehender Beschluss bis das Gericht endgültig entscheidet, aber es ist für alle Waldschützer eine großartige Nachricht für die sie lange gekämpft haben. Wir sind ebenso glücklich und hoffen zumindest, ein kleines Mosaiksteinchen zu diesem Erfolg beigesteuert zu haben.
22. – 26. Juli / Der emotionale Zieleinlauf – (108 km / 1.736 km)
Die letzten Kilometer zum Białowieża-Urwald verlaufen ruhig und entspannt, sodass ich Zeit habe, nicht nur die Natur zu genießen, sondern auch der dörflichen Architektur ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Je weiter man in den Osten von Polen fährt und je ländlicher es wird, desto mehr wohnen die Menschen noch in traditionellen Holzhäusern.
Auch der weißrussische Einfluss steigt mit jedem Kilometer. Bilden die Weißrussen im Bielsk Podlaski noch eher die Minderheit, so sind die Bewohner des rund 30 km östlich gelegenen Hajnówka bereits mehrheitlich weißrussischer Herkunft.
Ein wenig wehmütig breche ich morgens aus Hajnówka auf und radle meine letzten 25 Kilometer nach Białowieża. So langsam bin ich glaube ich noch nie gefahren, fast so als wollte ich gar nicht ankommen. Ich genieße jede Sekunde und freue mich wie ein kleines Kind als ich das rote Reservatsschild „Białowieża-Urwald“ passiere.
Ich schaue auf meine Rad-App, die jeden Kilometer dokumentiert: 1.736 Kilometer. Meine lange Reise von der UmweltDruckerei quer durch Polen endet glücklich und auch ein wenig stolz im Nationalpark von Białowieża.
Wir als UmweltDruckerei spenden pro gefahrenen Kilometer 1,50 EUR an die lokalen Urwaldschützer Fundacja Dzika Polska. Zusätzlich zu den bisherigen Privat- und Unternehmensspenden freut sich die NGO bei 1.736 km somit über unsere Spende von 2.604 EUR.
Die offizielle Spendenradtour ist nun zu Ende, daher möchten wir allen für die großartige Unterstützung herzlich danken! Das heißt aber nicht, dass sich unsere Urwaldschutzpartner nicht weiterhin über eure Spenden freuen! Zwar endet unsere Tour, aber der Kampf gegen die Abholzung geht ja schließlich weiter.
Die ersten Lastwagen mit geladenen Baumstämmen sind bereits an mir vorbeigefahren. Ich werde mir jetzt natürlich selbst vor Ort ein Bild von der Zerstörung des Waldes machen und euch selbstverständlich in einem letzten Blog-Beitrag berichten.
19. – 21. Juli / Auf der Suche nach dem Ende der EU – (155 km / 1.628 km)
Die Woiwodschaft Lublin grenzt sowohl an die Ukraine und als auch an Weißrussland. Damit bildet ihre Ostgrenze gleichsam das Ende der Europäischen Union. Doch wie muss man sich so eine Grenze eigentlich vorstellen – insbesondere nach der Flüchtlingskrise Ende 2015? Polen ist schließlich informelles Mitglied der Visegrád-Gruppe, die sich vehement für eine Verschärfung der Migrations- und EU-Außengrenzpolitik einsetzte.
Ich möchte wissen, wie das Ende der EU aussieht und um das herauszufinden, fahre ich einfach immer weiter nach Osten.
In Janów Podlaski prüfe ich meine On- und Offline-Karten, welche Wege zur Grenze nach Weißrussland führen. Das Ergebnis: Es gibt keinen Weg; nur eine große Grenzübergangsanlage weiter im Süden bei Terespol, doch wie die aussieht, wurde mir schon erzählt: Ewig lange Autokolonnen, die jeweils auf ihre Kontrolle warten.
Wie oft haben mich Google-Maps und meine App-Karten schon zu angeblichen Wegen dirigiert, wo letztlich keine waren. Daher beschließe ich, ihnen in diesen Fall wieder zu misstrauen und fahre einfach zu dem östlichsten Gehöft oder vielmehr riesigen Gestüt des Dorfes. Tatsächlich führt von dort ein kleiner Feldweg laut GPS in Richtung Grenze. Leider endet dieser in einem Sumpf; ca. 1 km Luftlinie von Weißrussland. Der zweite Versuch führt mich über verlassene Trampelpfade, Wiesen und Morast.
Ich fahre und schiebe mein Rad so schnell ich kann, denn die besten Motivationskünstler sind die Myriaden von Mücken und Stechfliegen in dem zunehmend sumpfigen Gebiet. Ein kurzes Stehenbleiben bedeutet schlichtweg 2-3 Stiche.
Meine Strecke läuft jedoch zumeist parallel zur Grenze und erst nach weiteren Kilometern erlaubt es mir die Natur, gerade gen Osten zu fahren. Vor mir erkenne ich den Grenzfluss Bug (Західний Буг), nach dem ich gesucht hatte.
Die völlige Einsamkeit erwartet mich überraschenderweise nicht. Es stehen drei große Jeeps am Fluss und Männer in Militärklamotten starren über den Fluss. Sie drehen sich zu mir um, sodass es mir doch ein wenig unheimlich wird. Auf den zweiten Blick erkenne ich indes, dass es sich lediglich um polnische Angler handelt, die ihre schwimmenden Posen im Fluss beobachten.
Nach dem oberflächlichen Verarzten meiner Stiche und kleineren Schürfwunden fahre ich am kommenden Mittag nach Norden.
Eine Unwetterwarnung für etwa 17 Uhr mit knapp 91 Liter Regen pro m² erreicht mich leider erst um 13 Uhr. Ich sollte diese Vorhersage nicht unterschätzen, denn bei mehr als 25 Litern pro Stunde oder mehr als 35 Litern in sechs Stunden wird vom Wetterdienst bereits eine Unwetterwarnung ausgelöst. Dieser Tag wird somit ein mühsames Rennen gegen die Zeit, um wohlbehalten und einigermaßen trockenen Fußes mein geplantes Tagespensum zu erreichen.
Doch gleich zu Beginn lasse ich mich immer wieder aufhalten. Rechts und links des Weges sind Skulpturen und allerlei künstlerische Installationen aufgebaut, die mich quasi zum Anhalten und Betrachten zwingen. Es sind Kunstprojekte des Lubliner Landart Festivals. Wirklich beeindruckend, da völlig unverhofft.
Inspiriert fahre ich weiter zum Fluss Bug. Er bildet nicht nur die Grenze nach Weißrussland im Osten, sondern nördlich auch zur Woiwodschaft Podlaskie (Podlachien), das auch mein finales Reiseziel Białowieża beheimatet. Sowohl meine Rad-App als auch Google Maps bestätigen mir, dass eine Fähre den Fluss überquert. Die Quote, dass dies stimmte, liegt erfahrungsgemäß bei 50 %. Heute stimmt sie mal wieder nicht und auch die polnische Grenzpatrouille vor Ort lässt mich lachend wissen, dass sie mich leider nicht hinüberbefördern dürften.
Es hieß also wieder mal einen Umweg fahren. Kraft- und vor allem zeitkostende 25 km. „Nur nicht heute“, denke ich bei dem näherkommenden Unwetter und etwas überhastet fahre ich mit Vollgas gen Westen zur angeblich nächsten Fahrverbindung. Nach 5 Km fällt mir erst auf, dass ich meine Sonnenbrille am Fluss hab liegen lassen. Eine nachhaltige und nicht ganz billige Holzsonnenbrille, die ich nicht zurücklassen möchte. Also wieder zurück. Immer die Uhr und den Himmel im Blick.
Vor Ort suche ich die Brille. Eine Dame fragt mich, was ich denn vermisse – oder zumindest interpretiere ich ihr polnisch so. „Moje Okulary“ (Meine Brille), stammele ich radebrechend. Sie polnischt daraufhin laut auf mich ein und beordert ihren Mann zum Suchen herbei, indem sie das Wort „Okulary“ mehrfach lauthals gestikulierend nutzt.
Vom Felde kommt plötzlich eine alte Kuhhirtin auf uns zu. Sie ist bestimmt über 70, trägt eine Bauernschütze, Gummistiefel und Kopftuch – und meine Sonnenbrille. Die Bäuerin lacht herzlich und macht die Ansätze eines Tanzes und singt irgendetwas – ein Anblick für die Götter! Freudestrahlend überreicht sie mir die Brille, tätschelt mir liebevoll die Wange und watet zurück zu ihren Kühen.
Menschlich ist dieser Zwischenfall ein Glück, aber zeitlich leider alles andere als günstig, denn es ist inzwischen 14 Uhr und das Unwetter ist für ca. 17 Uhr angekündigt. Drei Stunden für noch 60 km – das ist anstrengend, aber bei guten Straßenverhältnissen und pünktlicher Fähre durchaus möglich.
Ich fahre so schnell wie es meine Beine erlauben zur westlichen Fährverbindung. Dann verschiebt sich auch noch mein Sattel, sodass ich die letzten 3 km im Stehen fahren muss. Ich möchte die Fähre keinesfalls verpassen. Tatsächlich erwische ich sie noch, lerne darüber hinaus eine sympathisch polnisch-holländische Reisgruppe kennen und kann endlich mal wieder deutsch sprechen. Mit dem Werkzeug des einen montieren wir meinen Sattel. Sie sind begeistert von dem Bambusrad und der Spendenradtour und wollen mich gar zum Essen einladen. Aufgrund des bevorstehenden Unwetters muss ich leider ablehnen.
16 Uhr. Noch eine Stunde. Noch 23 km. Über mir verdunkeln sich die Wolken bedrohlich schwarz und es fallen die ersten Tropfen. Das wird knapp. Aber die Strecke ist überwiegend asphaltiert, weder Hitze noch starker Gegenwind oder kraftraubende Berge, sodass ich gut vorankomme. Ziemlich kaputt, aber erleichtert erreiche ich die reservierte Waldhütte nach einigem Suchen und bei einsetzendem Regen um kurz nach 17 Uhr. Die Dame des Hauses empfängt mich freudestrahlend. Sie spricht ausschließlich polnisch und die Kommunikation erweist sich als äußerst schwierig, sodass ich nachdem ich kurz Handyempfang habe, meinen polnischen Kumpel anrufe, der übersetzt, indem die Dame und ich uns bei Kaffee und Kuchen, das Handy abwechselnd hin und her reichen. Ein wenig skurril, aber es funktioniert. Ich sei der erste Gast, der nicht aus Polen, der Ukraine oder Weißrussland stamme, bestätigt sie mir ein wenig feierlich.
Die Nacht alleine in der Hütte bei schweren Unwetter inmitten des Waldes ohne Internet, Buch, TV und Radio ist ebenfalls eine lohnenswerte Erfahrung, aber das ist eine andere Geschichte. „Ist hier jetzt das Ende der EU?“ frage ich mich. Ich weiß es nicht genau, aber es fühlt sich zumindest ein bisschen so an.
14. – 18. Juli / Über Lublin zum Kozłowiecki-Nationalpark – (168 km / 1.473 km)
Mit Lublin habe ich zunächst meinen östlichsten Punkt erreicht. Die weitere Radtour zum Białowieża-Urwald führt ab jetzt nur noch nach Norden parallel zur ukrainischen und später zur weißrussischen Grenze.
Auch hier treffe ich wieder aufgeschlossene und gastfreundschaftliche Menschen. Am Abend flaniere ich durch die romantisch illuminierte Altstadt auf der Suche nach einem Restaurant. Ich komme ins Gespräch mit einer Gruppe von Lublinern und als sie erfahren, dass ich an diesem Abend Geburtstag habe, laden sie mich in ein Restaurant ein und bestehen darauf, die Rechnung zu zahlen und ihr Gast zu sein.
Wir erzählen über Erlebtes und albern herum, aber diskutieren auch viel. Von der Solidarność-Bewegung und dem damit einhergehenden Kampf für Freiheit und Demokratie über die deutsche Flüchtlingspolitik bis hin zur aktuell geplanten Justizreform in Polen. Auch über umweltpolitische Themen wie der Rodung des Białowieża-Urwaldes wird kontrovers debattiert. Es herrscht an unserem Tisch in etwa so wenig Einigkeit wie derzeit zwischen der EU und Polen – auch innerhalb der Gruppe meiner polnischen Gastgeber. Es wird argumentiert und hier und da verständigen wir uns auf Kompromisse. Ein Hauch von Brüssel, Berlin und Warschau in einer kleinen Restauracja am Rande der Altstadt.
Ich verlasse die Stadt und radele in Richtung Norden zum Kozłowiecki-Nationalpark. Das geschützte Waldgebiet ist für die Lubliner zum einen ein Naherholungsgebiet und zum anderen ein Refugium für Tiere und Pflanzen aller Art.
09.-13. Juli / Eine Hassliebe. Der lange Weg zur Weichsel – (245 km / 1.305 km)
Am See liegend durchblättere ich meinen Reiseführer. Die nächste Stadt im Osten wäre Radom. Der Baedeker-Reiseführer ist sehr detailliert und bemüht sich, Polen in all seinen Facetten zu beschreiben. Auf 518 eng beschriebenen Seiten widmet er der Industriestadt Radom lediglich zwei Sätze. Kann so schön nicht sein, denke ich mir. Egal, wenn man sich stets nur an den angepriesenen Orten des Reiseführers hält, können verschmähte Orte nicht vom Tourismus profitieren. Also Radom.
In Radom angekommen erwartet mich wirklich nicht gerade die Königsallee in Düsseldorf; die Szenerie erinnert mich eher an alte Schimanski-Tatorte aus Duisburg. Doch der kleine Altstadtkern beweist mir, dass es mehr verdient hat, als mit zwei Sätzen abgekanzelt zu werden. Ich entdecke mit dem Green Zebra ein vegan-vegetarisches Restaurant – alleine das ist ein Highlight in Polen, dessen Küche, wie die deutsche Hausmannskost, zumeist dem einfach gestrickten Dreiklang aus Fisch oder Fleisch plus Beilagen mit Soße folgt.
Am kommenden Tag gießt es wie aus Eimern. Mein Wetterradar verdeutlicht mir, dass es sich auch nicht zu warten lohnt. Vor mir liegen die im Nachhinein anstrengendsten Kilometer meiner bishergien Etappe. Mein Ziel: die Wisła (Weichsel) – der mit über 1000 km Länge größte Strom Polens.
Meine App empfiehlt mir, die Landstraße 12 zu nehmen, als wenn sie geahnt hätte, dass alles andere nur schief gehen kann. Meine Erfahrungen mit den polnischen National- und Landstraßen raten mir indes, die LKW-Knotenpunkte und somit für Fahrradfahrer gefährlichen Straßen zu meiden. Meine Komoot-Rad-App und ich sind inzwischen gute Freunde geworden. Die Navi-Dame, die mir dir Wege ins Ohr flüstert, hat es auch nicht immer leicht. Häufig verstehe ich nicht, was sie mir radebrechend mitzuteilen versucht und freue mich insgeheim, dass auch ihr Sprachvermögen, die Feinheiten der polnischen Sprache nicht harmonisch zu artikulieren versteht.
Folgen Sie „Pryszcz…“ und biegen dann ab auf „Strzyżów…“
Was mir normalerweise ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, macht mich heute in der masowischen Provinz indes wahnsinnig. Die „Wege“ durch den Wald sind tief, es regnet in Strömen und was meine liebe Navi-Frau heute alles als Wege interpretiert, mag im positiven Sinne als abenteuerlich oder kreativ verstanden werden; es sind real betrachtet aber im besten Falle überwucherte Trampelpfade, die teilweise sogar im Nichts enden.
Die letzten 25 km fahre ich nunmehr die Landstraße 12. Wie ich vermutete, ist auch diese Wahl, um es höflich auszudrücken, recht bescheiden. Der lebensnotwendige Platz zwischen mir und den mit 100 km/h dahinbretternen LKW schmilzt auf regennasser Straße auf teilweise unter einen Meter, sodass ich gezwungen bin, mich stets umzudrehen, ob wieder ein Laster anrollt, um bei inzwischen stürmischen Wind auf dem schlammig-grasbewachsenden Seitenstreifen zu warten. Als Dank fürs Platz machen, bekomme ich die Gischt des dreckigen Spritzwassers ins Gesicht. Positiv sei hervorgehoben, dass mein Wortschatz polnischer Schimpfworte sich an diesem Tage beträchtlich erweiterte.
Die anstrengende Fahrt hat Spuren an Mensch und Material hinterlassen. Ich bin ziemlich erschöpft und auch der Dreck in den Ketten meines Bambusrades krächzt beängstigend. Am Fluss der Weichsel angekommen, warte ich auf die Fähre. Bereits zweimal wurde mir auf der Tour gemäß meiner App eine Fährverbindung angezeigt, doch dann stand ich vor einem Fluss und ich musste große Umwege über die nächstliegende Brücke fahren. Doch diesmal nicht. Ich fahre kein Stück weiter als absolut notwendig. Die gegenüberliegende Fähre rührt sich indes nicht. Ich prüfe den Umweg, schüttle mit dem Kopf und sitze die Sache aus. Nach etwa 20-30 Minuten bequemt sich die Fähre tatsächlich zu mir rüber. Ich bin der einzige Fahrgast.
Der Kapitän spricht ein paar wenige Worte deutsch. Inzwischen eine Seltenheit so weit im Osten, wo ich zumeist gefragt werde, ob ich alternativ denn ukrainisch oder russisch verstünde. Wenige Meter nach der Überfahrt müssen mein Fahrrad und ich einen kleinen Berg hinauf. Bereits zu viel für den heutigen Tag. Ich bekomme seit Jahren meinen ersten Wadenkrampf und nahezu zeitgleich stellt sich mein Hinterrad quer. Auch für mein verlässliches Fahrrad waren die vielen Schlaglöcher auf über 1.000 km wohl eines zuviel.
Dramatischer als es bei 5 km/h berechtigt wäre, liegen mein Rad und ich auf dem Boden. Eilig laufen der Kapitän, ein Maschinist und die wartenden Fahrgäste auf mich zu. Sie helfen mir auf und der Kapitän persönlich macht sich sogleich an die Reparatur des Fahrrads.
Es ist eine herzliche Atmosphäre und keine der wartenden Fahrgäste beschwert sich über die Verzögerung des Flusstransfers, sondern suchen vielmehr das Gespräch mit mir und klopfen mir aufmuntert auf die Schulter.
Ich fahre noch ein paar Kilometer zum nächsten „Serwis rowerowy“ (Fahrraddienstleister), lasse das Fahrrad noch einmal prüfen und vor allem säubern. Die selbstlose Hilfeleistung der Menschen und die Ankunft bei nunmehr herrlichen Wetter im zauberhaften Kazimierz Dolny entschädigen für alles.
05. – 08. Juli / „Theo, wir fahren nach Wutsch!“ – (136 km / 1.060 km)
Die Fahrt nach Łódź (ausgesprochen „Wutsch“) führt mich größtenteils entlang des Flüsschens Warta (Warthe). Der befahrbare Damm und das wasserarme Flusstal mäandern zumeist ruhig nebeneinander her. Es ist nahezu menschenleer und es begleiten einen nur die Schwalben, Falken und Störche – selbst Fuchs und Dachs überqueren meinen Weg!
In dem kleinen Thermalbad-Städtchen Uniejów zeigt meine Tacho-App auf einmal 999 km zurückgelegte Strecke an. Der ideale Ort für eine Übernachtung. Am kommenden Morgen erreiche ich den Marktplatz und die 1.000 km sind erreicht!
Eine Dame spricht mich aufgrund des „I love Puszcza“-Greenpeace-Jutebeutels an (zu Deutsch: „Ich liebe den Urwald“). Sie befragt mich über unsere Spendenradtour, über das Bambusrad und unsere Öko-Druckerei. Sie ist total begeistert und bittet mich, kurz zu warten. Sie verschwindet in einer „Piekarnia“ – einer kleinen Bäckerei. Sie eilt wieder heraus und überreicht mir ein kleines Fruchttörtchen – „Für dich – ich wünsche ganz viel Erfolg für die Tour und den Urwaldschutz!“ Sie umarmt mich, Küsschen links, Küsschen rechts und geht strahlend ihrer Wege. Es sind eben oft die kleinen Dinge, die sehr motivierend sein können.
Łódź war einst für seine Textilindustrie bekannt, jedoch heutzutage eher für seine Filmkunst. Große Filmregisseure wie Andrzej Wajda oder Roman Polanski haben hier ihr Handwerk gelernt und sind auf der Piotrkowska mit einem „HollyŁódź-Sternchen“ verewigt.
Weniger bekannt, aber von mir umso mehr geschätzt, ist der kreative Aspekt der Stadt. Einst graue Häuserwände sind kunstvoll bemalt und laden zum Verweilen, Betrachten und Nachdenken ein. Um urbane Kunst zu sehen, müsste man eigentlich nach Paris, London oder Berlin fahren, aber Łódź muss sich mit seiner Galeria Urban Forms mit Sicherheit nicht verstecken.
03. – 04. Juli / Schönes und überraschendes Großpolen – (81 km / 924 km)
Natura 2000 ist das Rückgrat des europäischen Natur- und Artenschutzes. Es ist das größte Schutzgebietsnetzwerk weltweit! Dennoch zeigen Umfrageergebnisse, dass es noch immer nahezu unbekannt ist. Insgesamt gehören 27.000 Flächen zu dem europäischen Schutzgebiet – stolze 18 % der Landfläche und mehr als 7 % der Meeresfläche der Europäischen Union.
Beispielsweise gehört auch das Gebiet der Leineaue, gleich um die Ecke der UmweltDruckerei, als Flora-Fauna-Habitat zum deutschen Netzwerk. Und auch das Ziel meiner Radtour, der Urwald von Białowieża, ist Teil des riesigen Schutzgebietes.
Auf dem Weg bin ich an etlichen Natura 2000-Gebieten vorbeigefahren. Den längsten Halt mache ich jedoch bei einem Schutzgebiet innerhalb der Großpolnischen Seenplatte, denn das Gekreische von Möwen erinnert mich überall auf der Welt an meine Heimatstadt Hamburg.
Nach dem kostenlosen Konzert der Möwen setze ich meine Fahrt fort und erstaune nicht schlecht als plötzlich eine goldene Kuppel und ein majestätischer Kirchturm über die Baumwipfel ragen.
Die Gegend, in der ich mich befinde, lässt auf derlei Architektur wahrlich nicht schließen – nichts als Landwirtschaft, Wald und Wiesen sowie und ein paar verstreute Häuser. Ich schaue sofort auf meine Karte, doch da ist keine Stadt, nicht einmal ein Städtchen verzeichnet. Kuppel nebst Turm haben indes die Ausmaße als müssten sie in Warschau oder Krakau stehen. Ich vergesse meine ursprüngliche Strecke und fahre immer weiter auf das goldene Architekturensemble zu.
Es wird stetig größer und imposanter und dann stehe ich vor der gigantischen Basilika der Muttergottes. Sie liegt in dem grade einmal 1.000 Einwohner zählendem Dorf von Stary Licheń. Es ist das größte Gotteshaus in Polen und die achtgrößte Kirche Europas.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nie von ihr gehört habe und selbst wenn, hätte ich sie hier ganz gewiss nicht erwartet – entsprechend bin ich im gleichen Maße überrascht wie beeindruckt. Als ich einst den Petersdom in Rom, die Blaue Moschee in Istanbul oder das Taj Mahal in Agra besuchte, da bereitete ich mich auf den architektonischen Superlativ vor; ich las, betrachtete Bilder und war entsprechend geistig vorbereitet. Nicht, dass ich die Bauten irgendwie vergleichen wollte, aber man wusste eben in etwa, was einen erwartet und der Überraschungseffekt war entsprechend abgeschwächt. Aber wie vorbereitet kann man sein, wenn man sich landschaftlich gefühlt eher zwischen Remscheid und Gummersbach befindet und völlig unverhofft auf solch einen goldenen Palast trifft!?
Falls Ihr diesen Wow-Effekt auch erleben wollt, dann vergesst die unten anliegenden Bilder und schwingt euch aufs Rad Richtung Großpolen 😉
29. Juni – 02. Juli / Über Poznań zur ersten Hauptstadt Polens – (183 km / 843 km)
Gniezno ist einer der ältesten Städte Polens. Der Gründungssage zufolge gab es drei Brüder: Lech, den Urvater des polnischen Staates und Rus, den Urvater des russischen Staates sowie Czech den Urvater des tschechischen Staates. Als Lech im 12. Jahrhundert auszog, beobachte er vom heutigen Lech-Hügel einen weißen Adler in der roten Abendsonne – das beeindruckte ihn so sehr, dass er die Stadt Gniezno (dt. „Nest“, poln. gniazdo) auf dem Hügel gründete. Das ist auch der Ursprung der polnischen Flagge: Ein weißer Adler auf einem roten Untergrund (Abendsonne).
Mit dieser Legende waren der polnische Staat und damit auch die erste Hauptstadt Polens geboren.
28. Juni / Aufwartung bei der höchsten Christusfigur der Welt – (45 km / 660 km)
Das absolute Highlight von Świebodzin ist eindeutig die monumentale Christusstatue vor den Toren der Stadt. Einst las ich in der Zeitung, dass sich der Pfarrer des Ortes berufen fühlte, die Statue zu bauen – ob aus göttlicher Eingebung oder um zahlungskräftige Pilger anzulocken, mag ein jeder selbst entscheiden. Nach ihrer Fertigstellung im Jahre 2010 dachte ich mir „Also da fährste mit Sicherheit nie hin“. Tja und nun stehe ich doch davor.
Als ich Anfang 2015 in Rio de Janeiro war, hatte ich mich selbst dort lange gesträubt, die weltberühmte Cristo Redentor-Statue zu besuchen, da ich Touristenaufläufe nebst Warteschlangen so gut als möglich umgehe. Letztlich war ich doch auf dem Corcovado und meine Befürchtungen wurden bestätigt. Alles war überfüllt, anstrengend und überteuert. Aber ein Besuch in Rio ohne Christusstatue geht irgendwie ja auch nicht und im Nachhinein war es doch ziemlich beeindruckend.
Den Besuch in Rio mit dem jetzt in Świebodzin zu vergleichen, ist denke ich auch nur bedingt sinnvoll. Doch wenn man der Versuchung unterliegt, so misst die 440 Tonnen schwere Statue in Polen 3 Meter mehr und wird die vergoldete Krone dazugerechnet, dann sind es sogar 6 Meter. Die Atmosphäre ist hier allerdings eine völlig andere. Ein verwaist aussehendes Pilgerhotel gleich nebenan, zwei kleine Kioske für Kaffee, Kuchen und Kreuze sowie ein paar versprengte Besucher zieren die landwirtschaftlich geprägte Umgebung.
Hat sich der Besuch gelohnt? Für mich persönlich eher weniger – aber eine ganz spezielle Erfahrung ist es auf jeden Fall…
27. Juni / Abseits der Wege – Ein kleiner Exkurs (0 km / 615 km)
Was mir auf der Radtour durch Deutschland schon aufgefallen ist, scheint auch in Polen gängige Praxis zu sein – das Anlegen so genannter Blühstreifen. Blühstreifen sind freie Flächen am Rand eines landwirtschaftlichen Feldes, die zum Erhalt der Artenvielfalt mit Blumen besät werden. So der gutgemeinte Grundgedanke.
Die Streifen, die ich gesehen habe, sind zumeist jedoch recht schmal. Aus Sicht der Artenvielfalt ist es schwerlich vorstellbar, dass der kleine Blühstreifen, den im großen Stil ausgebrachten Pestizideinsatz der anliegenden Monokultur zu kompensieren im Stande ist. Fraglich ist ebenso, ob die Blumen nicht doch die Abdrift der ausgesprühten Pflanzengifte abbekommen, da augenscheinlich kein Platz zwischen Acker und Blühstreifen vorhanden ist. Den Wind kann man schließlich schlecht kontrollieren. Und dass die Ränder des Feldes bewusst nicht mit Pestiziden besprüht werden, um die Reinheit des Blühstreifens nicht zu gefährden, ist aus Sicht des Landwirts unwirtschaftlich und damit ebenso unwahrscheinlich. Dass die Blumen am Ackerrand somit partiell Pestizide abbekommen, darf somit als wahrscheinlich angesehen werden – und wenn dem so ist, geben die Blumen diese Gifte auch an die Arten weiter, die es ursprünglich zu erhalten galt.
Dieses kleine Beispiel verdeutlicht ein generelles Problem im europäischen Nachhaltigkeitsdiskurs – Es werden nicht die grundlegenden Verfahrensweisen geändert (Pestizide / Monokultur), die für die Probleme zuständig sind (Rückgang der Artenvielfalt), sondern es wird symptomatisch gedacht – mit anderen Worten: Es werden weiterhin die Probleme geschaffen, um sie im Nachhinein wieder abzumildern.
25. – 27. Juni / Schönes und Anstrengendes aus Westpolen (103 km / 615 km)
Der Grenzübergang zwischen Deutschland und Polen könnte schöner nicht sein. Beim Durchfahren des länderübergreifenden UNESCO-Welterbe-Landschaftsparks weist lediglich ein kleiner Grenzpfosten darauf hin, dass man sich nun in Polen befindet.
Die anschließend erholsame Nacht auf einem Gutshof bei bester Hausmannskost und polnischer Gastfreundschaft ist auch dringend notwendig.
Die weiterführende Fahrt durch die ländliche Infrastruktur stellt sich nämlich als nicht ganz ungefährliche Herausforderung dar. Mein Routenplaner empfiehlt mir, die „Droga krajowa 27“ Richtung Nowogród Bobrzański zu nehmen. Diese Landstraße ist insgesamt vielleicht 7 maximal 8 Meter breit und wird verstärkt durch etwa 2,5 Meter breite LKW mit ebenso breiten Anhängern genutzt. Fahren nun zwei LKW auf optimalen Wege an einander vorbei, bleiben höchstens einen Meter zwischen mir und dem gleichdarauf abfallenden Straßengraben. Erlaubt sind 90 km/h. Gefahren wird aber schneller. Alleine der Windstoß der LKW erfordert höchste Aufmerksamkeit beim Gegenlenken. Von dem Dreck, der Lautstärke und dem Gestank ganz abgesehen.
Jedes Mal hoffe ich, dass mich der LKW-Fahrer auch wahrnimmt auf meinem kleinen Bambusfahrrad, doch das wird mir nach etwa 5 km viel zu unsicher. Die aufgestellten Kreuze und Kerzen am Straßenrand bestätigen meinen Eindruck, sodass ich zurückfahre und auf einen verlassenen Waldweg abbiege.
Doch auch dieser Weg ist absolut nicht für Radfahrer gemacht worden. Der Boden ist tief und sandig und ich muss alle hundert Meter absteigen. Spätestens jetzt merke ich die 50 kg Gepäck wieder, die ich durch den Sandboden schiebe.
24. Juni / Ankunft in der Grenzstadt Bad Muskau (54 km / 512 km)
Die Fahrt von Brandenburg nach Sachsen verläuft durch sonnendurchflutete Kiefernwälder. Wenn man wie ich in der Großstadt geboren und seit jeher dort lebt, ist es eine wahre Erholung für die Sinne. Es ist wirklich nichts zu hören – nur der Wind, der durch die Baumwipfel streicht und der Gesang der Vögel.
Unsere Spendenradtour sammelt Spenden, um den polnischen Urwald von Białowieża zu schützen. Dass auch der deutsche Spreewald einst ein Urwald war, bevor dieser für die Landschaft urbar gemacht wurde, wird einem spontan wieder ins Bewusstsein gerufen, wenn man plötzlich vor einem gerodeten Wald steht.
Auch der Braunkohleabbau hat hierzulande tiefe Risse in die Natur gezogen. Nach der Einstellung des Untertagebaubetriebs wurde auch die Wasserhaltung in den Stollen eingestellt, sodass nach einiger Zeit das instabile Deckgebirge über den Schächten einbrach und sogenannte Bergbaurestgewässer schuf. Die abgestorbenen Kiefern ragen nur noch als schwarze Stile aus dem Wasser.
Dies ist leider kein Einzelfall, wie das Beispiel des Hambacher Forstes in Nordrhein-Westfalen zeigt. Auch hier soll das alte Gehölz dem Braunkohletagebau geopfert werden. Auf Nachhaltigkeit bedachte Konsumenten sollten demnach unbedingt auf einen grünen Stromanbieter wechseln, der keine CO2-emittierende Kohleenergie in seinem Srommix anbietet – andernfalls unterstützten die Verbraucher indirekt diese Praktiken; von der miserablen Klimabilanz ganz zu schweigen.
In Bad Muskau angekommen, führt der erste Weg natürlich in den größten im englischen Stil gehaltenen Landschaftspark Zentraleuropas – dem Fürst-Pückler-Park. Das Weltkulturerbe liegt zu einem Drittel auf sächsischer und zu zweidrittel auf polnischer Seite. Es ist eine der wenigen staatenübergreifenden UNESCO-Welterbestätten und damit der symbolisch ideale Grenzübergang nach Polen.
20. – 23. Juni / Quer durch das Biosphärenreservat Spreewald (179 km / 458 km)
Ich bin etwa 7-8 km aus Wittenberg raus, als ich einen Mann alleine und keuchend in der Sonne einen Trabbi die Bundesstraße 187 langschieben sehe. Da ich weder Auto noch Werkzeug habe, frage ich mehr aus Höflichkeit, ob ich denn helfen könne. „Sie können!“, brüllt er mir völlig außer Atem von der gegenüber liegenden Straße zu.
„Moin!“, begrüße ich den Autoschieber.
„Naja, Morjen is jut!?“
„Nein, Moin! – Ich komm aus Hambuich – ich darf das den ganzen Tach sagen…“
„Aha und wo wollnse hin?“
„Nach Białystok.“
„Oha, janz nach Rostock is aber ne Ecke?!“
„Nein, Bia-ły-stok, nich Rostock.“
„Ditt klingt och weit…“
„Joa, das wohl richtich, nä. Und Sie?“
„Zurück nach Dessau, aber der Jute will nich mehr“ und weist stirnrunzelnd auf seinen Trabbi. „In Wittenberg hab ick Bekannten. Der is Mechaniker. Ick hab aber seene Nummer nich. Könnse nich rumfahren und Andi sagen, dass der Scholle hier mit dem Trabbi steht, dann weiß der schon…“
Es ist verdammt warm heute und die Sonne brennt, aber ich hatte ja gefragt; also fahre ich die ganze Strecke zurück nach Wittenberg, um Mechaniker-Andi zu suchen. Nach einer guten halben Stunde finde ich Andi auch vor Ort und gebe Bescheid, wo Scholles Trabbi steht. Anschließend fahre ich wieder eine halbe Stunde zurück. Diesmal bin ich ziemlich durchgeschwitzt und Scholle grinst mich aus seinem Trabbi an.
„Jut sehnse aus – Allzeit bereit, immer bereit!“, lacht er höhnisch.
Ich dachte mir meinen Teil, aber durch den Umweg von ca. 15 km habe ich wenigstens 22,50 EUR für den Waldschutz herausgefahren [dieUmweltDruckerei spendet ja 1,50 EUR pro Kilometer, den ich zurücklege]. Und ich darf zumindest mal in einem Original-Trabbi sitzen. Immerhin…
Nach einigen Kilometern verlasse ich endgültig die Elbe. Sie biegt südlich nach Dresden ab und ich nach Osten Richtung Brandenburg, um durch den Spreewald zu radeln.
Der Spreewald ist eine naturnahe Auenlandschaft und der Lebensraum einer reichen Tier- und Pflanzenwelt, die andernorts bedroht oder bereits ausgestorben sind. Um diese Landschaft mit seinen kaum zählbaren Fließen und Kanälen zu schützen, erklärte die UNESCO den Spreewald 1991 zum Biosphärenreservat. Damit wird angestrebt, ökologische, ökonomische und soziale Belange harmonisch in Einklang zu bringen.
18. – 19. Juni / Immer die Elbe runter bis zur Lutherstadt (112 km / 279 km)
Der Elberadweg beginnt an der Elbquelle im tschechischen Riesengebirge und endet nach über 1.200 km in Cuxhaven an der Elbmündung. Der ideal ausgebaute Fernradweg verläuft mehr oder minder immer an der Elbe entlang und bietet herrliche Landschaften – und auch die Gaststätten und Pensionen entlang des Weges sind gut auf die Radler eingestellt. Nicht umsonst wurde der Weg zum 13. Mal in Folge von Mitgliedern des ADFC zum beliebtesten Radfernweg Deutschlands gewählt.
Mein Streckenabschnitt verläuft mitten durchs UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe – Neben dem Elbebiber ist es die Heimat von Adlern, Kranichen und Weißstörchen, die einem stets aus der Luft begleiten. Wenn die Sonne bei rund 30 °C nicht permanent vom Himmel brennen würde, eine absolut empfehlenswerter Radweg!
17. Juni / Ankunft in Magdeburg (62 km / 167 km)
Vorbei an wahrlich „blühenden Landschaften“ erreiche ich die Hauptstadt Sachsen-Anhalts, um von hier auf den Elberadweg zu gelangen.
16. Juni / Von Braunschweig zur ehemals innerdeutschen Grenze (45 km / 105 km)
Heute freue ich mich sehr auf das Treffen mit Dr. Hamer von Valtier, der mir über die Renaturierung des deutsch-deutschen Grenzstreifens berichten wird, für dessen Bewaldung sich er und seine Familie seit etwa 25 Jahren mit Leidenschaft engagiert.
Wir fahren in seinen Wald. Schnell wird mir klar, dass ich hier mit einem Menschen spreche, der mit Herzblut die Geschichte und die Nachhaltigkeit dieses Grenzwaldes lebt. Ich würde mich nicht wundern, wenn er jeden Baum und jeden Strauch dieses riesigen Areals mit Namen kennte. Herr v. Hamer berichtet mir sachkundig vom Stand des Humus‘ im Wald, über den Nutzen von Totholz bis zur Initiierung eines neuen Wiederaufforstungsprojektes. Sein autodidaktisches Wissen und sein Elan sind beeindruckend. Selbst kleinere Blumenpflanzungen zur Förderung der Artenvielfalt referiert er mit Liebe zum Detail.
Besonders die historische Bedeutung dieses Waldes ist faszinierend. Vor der Wende war hier die Grenze zwischen Westdeutschland (Niedersachsen) und der DDR (Sachsen-Anhalt). Wir spazieren den Kolonnenweg entlang, wo einst die NVA patrouillierte. „Rechts war die DDR und links die BRD“, räsoniert Herr v. Hamer. Die Grenzsoldaten der Volksarmee haben hier einen breiten „Begiftungsstreifen“ rechts des Weges angelegt, sodass nicht eine Pflanze darauf wuchs – um die Fußabdrucke der Flüchtlinge besser identifizieren zu können. „Das wieder zu begrünen, hat viel Zeit, Geld und Hingabe gefordert“, unterstreicht er beim Weitergehen.
„Ich lasse bewusst Gebiete des Waldes völlig ihrem Lauf, ohne einzugreifen! Mal sehen, was daraus wird.“, gibt er ein wenig schmunzelnd von sich. Er versuche halt, Nachhaltigkeit und Nutzen sowie Ästhetik und Historie des Waldes in Einklang zu bringen. Vor uns ragt plötzlich ein ehemaliger Wachturm der NVA aus dem grünen Dickicht. „Den versuche ich, bald zu restaurieren…“. Ein weiteres Projekt! Langweilig wird es ihm wohl nie, denke ich mir…
15. Juni / Von Hannover bis Braunschweig (60 km / 60 km)
Nun geht es also los – für jeden gefahrenen Kilometer, den ich bewältige, spendet dieUmweltdruckerei 1,50 EUR für den Schutz des Białowieża-Urwaldes. Das sollte Motivation für mich genug sein, die Herausforderung zu meistern; zumal ich im regen Austausch mit Greenpeace Polska und ihren regionalen Partnern stehe und um deren großes Engagement weiß.
Ich verfahre mich nach exakt 125 Metern. Die freundliche Frauenstimme meiner Rad-App, über die jeder gefahrene Kilometer dokumentiert wird, unterbricht meinen ersten Enthusiasmus, indem sie mir „Bitte wenden“ über die Kopfhörer mitteilt. Seis drum. Zum Glück hat mich keiner von den anderen UmweltDruckern gesehen.
Ich überlege kurz, was östlich und per Rad erreichbar von Hannover sein mag, korrigiere die App-Eingabe und wähle Braunschweig als Ziel.
15. Juni / Abfahrt von der UmweltDruckerei
Heute startet die weit über tausend Kilometer lange Radtour bei uns in Hannover auf dem Expo-Gelände. Von der Idee über die ersten Planungen bis zur geglückten Testfahrt ist realtiv viel Zeit und Arbeit investiert worden, sodass wir uns nun umso mehr freuen, dass es endlich losgeht!
09. – 10. Juni / Jungfernfahrt von Kiel nach Hamburg
Da steht es! Unser fertiges Bambusfahrrad für unsere Spendenradtour. Hergestellt von einem sozialen Projekt in Ghana und endgefertigt vom hochsympathischen Team von my Boo in Kiel in insgesamt über 100 Stunden Handarbeit! Der Rahmen und die Schutz“bleche“ sind aus nachhaltigem Bambus und selbst die Handgriffe sind aus einer Kork-Kautschuk-Mischung. Gerade mal 15 kg wiegt das Bambusrad und fährt sich sensationell gut.
Soviel Liebe zum öko-sozialen Detail muss natürlich entsprechend versichert werden. Mit Greensurance haben wir einen grünen Versicherungspartner gefunden, der die Nachhaltigkeitsleistung seiner Versicherten mit Öko-Punkten belohnt und entsprechend rabattiert.
Nach Klärung der letzten fahrradrelevanten Details im my Boo-Hauptquartier geht die Testfahrt noch am gleichen Tag nach Neumünster. Auf dem Weg durch strömenden Regen erfolgt der erste Zwischenstopp, um in Bordesholm ein echtes Naturdenkmal zu besuchen – die 700 Jahre alte Gerichtslinde der Gemeinde. Schwer zu finden, ist sie nicht, da bereits bei der Einfahrt in die Kleinstadt das Schleswig-Holstein-Lied aus den Kehlen des örtlichen Schützenvereins posaunt – selbstverständlich unter der altehrwürdigen Linde des Städtchens. Sie hat einen solchen Stellenwert, dass sie sogar das Stadtwappen ziert, mit Pfählen gestützt und liebevoll gepflegt wird.
Dass diese Hochachtung nicht jedem Baum beschert ist, verdeutlicht die Weiterfahrt am nächsten Tag nach Hamburg. An der viel befahrenen Kollaustraße in HH-Lokstedt kämpft eine 200 Jahre alte Eiche ums Überleben. Sie lieferte Futter und Brennholz, überstand Kriege und Luftangriffe – Ihren wohl letzten Kampf führt sie nun gegen Autoabgase und Bodenversiegelungen.
Die unterschiedliche Wahrnehmung und Wertschätzung der Natur zeigt sich in Europa derzeit wohl am deutlichsten an der Abholzung des etwa 8.000 Jahre alten Białowieża-Urwaldes. An der polnisch-weißrussischen Grenze werden seit 2012 über Tausend Jahre alte Bäume gerodet. Das ZDF berichtet in einem kurzen Beitrag über den Kampf zwischen Waldschützern und der polnischen Politik, der die Notwendigkeit des Urwaldschutzes eindrucksvoll verdeutlicht.
„Einige Bäume, die abgeholzt werden, sind 1.500 Jahre alt oder noch älter! Das ist eine Verwüstung und ein Raub des wertvollsten Baumbestandes, den dieser Urwald hat.“
Am 15. Juni startet unsere Spendenradtour offiziell von unserem Firmensitz in Hannover. Nach dieser TV-Reportage sind wir doppelt motiviert, noch viele Spenden für den Erhalt des Urwaldes zu sammeln. Wir freuen uns daher sehr auf Eure finanzielle Unterstützung für unsere waldschützenden Partnerinnen vor Ort: Greenpeace Polska und Fundacja Dzika Polska.
Vielen Dank im Voraus!
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