Der Weltklimavertrag von Paris ist am 22. April in New York unterzeichnet worden. Mit diesem Vertrag zum Klimaschutz bekennt sich die Weltgemeinschaft völkerrechtlich verbindlich zum Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.
In dem Sammelwerk „Unter 2 Grad?“ analysieren Autoren aus Wissenschaft, Politik, Medien und NGOs, was der Weltklimavertrag wirklich bringt. Dr. Kevin Riemer (KR) von der UmweltDruckerei fragt beim Vorsitzenden der Deutschen Umweltstiftung und Mitherausgeber des Werkes Jörg Sommer (JS) nach, was die Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft für einen Beitrag leisten können, damit das Klimaziel gelingt.
KR:
Der Autor Andreas Wijkmann zitiert in Ihrem Buch den britischen Journalisten George Monbiot, der den Erfolg des Klimavertrages wie folgt zusammenfasst.
„Das Abkommen ist ein Wunder im Vergleich zu dem, was hätte sein können – und ein Desaster im Vergleich zu dem, was hätte sein sollen.“
Wie würden Sie die Aussage von Herrn Monbiot aus umweltpolitischer Sicht bewerten?
JS:
Das Wunder, von dem Monbiot spricht, bezieht sich auf das Ziel: die globale Erwärmung auf Unter 2 Grad zu begrenzen. Betrachtet man das oft unwürdige Geschacher, das Weltklimakonferenzen in der Vergangenheit prägte, ist es schon ein beeindruckender Erfolg, dass dieses Ziel letztlich sogar völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben wurde und sich fast sämtliche Nationen der Welt dazu bekannt haben.
Dennoch darf man eines nicht vergessen: Selbst wenn dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden sollte, bedeutet dies, einen Teil der Welt zu opfern. Bei „nur“ zwei Grad Erderwärmung halbieren sich die Ernteerträge in weiten Teilen der Welt, vervielfachen sich Extremwetterlagen und dehnen sich die Wüsten dramatisch aus. Das alles bei einem weiteren dramatischen Anstieg der Weltbevölkerung.
Hinzu kommt das Problem der Umsetzung: Der Weltklimavertrag setzt weitestgehend auf Freiwilligkeit. Noch gibt es dazu aber viel zu wenig Zusicherungen, in der Vergangenheit wurden zudem freiwillige Zusicherungen auf internationaler Ebene nur zu rund 50 % erfüllt. Legt man diese Maßstäbe an, wird möglicherweise wohl eher eine Erderwärmung in Richtung 4 Grad zu erwarten sein. Das könnte man durchaus als Desaster bezeichnen.
KR:
Das Paris-Abkommen umfasst unter anderem den Schutz der Wälder (vgl. REDD) und unterstreicht damit die Bäume als potenzielle CO2-Speicher. Wie bewerten Sie Erst- und Wiederaufforstungsprojekte als unternehmerisches Instrument für den Klimaschutz?
JS:
REDD bedeutet Reducing Emissions from Deforestation and Degradation – Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung. REDD ist ein Programm der Vereinten Nationen zum Klimaschutz durch Waldschutz. Hier geht es zunächst einmal um die Verhinderung bzw. Reduzierung von Entwaldung. Insbesondere Urwälder, die einmal abgeholzt wurden, sind auf viele Generationen unwiederbringlich verloren. Deshalb sind alle Initiativen lobenswert, die solche Abholzung verhindern. Wiederaufforstung ist sicher eine lobenswerte Initiative, aber im Verhältnis zum Schutz bestehender Urwälder bei weitem nicht so ökologisch vorteilhaft, wie oft vermutet. Einerseits bedarf eine Aufforstung generationenlanger Pflege, um dort wieder ein wertvolles Ökosystem zu etablieren. Andererseits entziehen Wälder nur dann der Atmosphäre dauerhaft CO2, wenn man konsequent auf deren forstliche Nutzung verpflichtet. Mit dem Pflanzen von Bäumen ist es also nicht getan.
KR:
Ein Kritikpunkt in Ihrem Buch ist die fehlende Einbeziehung des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs in den Klimaschutzvertrag, obwohl diese für einen nicht unbedeutenden Anteil an CO2-Emissionen verantwortlich sind. Warum ist gerade dieser Punkt Ihrer Meinung nach nicht mit einbezogen worden?
JS:
Ein Klimavertrag wird grundsätzlich nicht nur im Verlauf einer Konferenz ausgehandelt. Den Konferenzen geht jeweils ein langwieriger Prozess des Interessenausgleichs voraus. Da gibt es diplomatische Konsenssuchen, aber auch knallharten Wirtschaftslobbyismus. Insbesondere die Mobilitätswirtschaft, zu der neben den Autoherstellern auch die Luftfahrtindustrie, die Logistikbranche und die Tourismusbranche zählen, ist international einflussreich. Viele Länder hängen stark von einer oder mehrere dieser Branchen ab. Deren Klimadiplomaten sind bei diesem Thema an der ganz kurzen Leine. Auch Deutschland spielt hier keine besonders ruhmreiche Rolle.
KR:
Und wie sollten Geschäftsreisende und Touristen Ihres Erachtens zukünftig ihre Reisen bzw. ihren Urlaub planen?
JS:
Wussten Sie, dass die Wähler der GRÜNEN diejenigen sind, die am häufigsten fliegen? Dies zeigt ein wesentliches Dilemma in der Ökologie auf: Der Sprung vom Wissen zum Handeln gelingt nur selten. Auch wenn die deutsche Luftfahrtindustrie zur Zeit mit dem frechen Spruch „Fliegen ist das neue Öko“ wirbt, bleibt die einfache Wahrheit: Ökologisch sind nur nicht gefahrene Kilometer und nicht geflogene Meilen. Für die Umwelt gibt es keine Bonus- sondern nur Malus-Meilen.
Man kann auch keine Flugmeilen mit dem Pflanzen von Baumsetzlingen ausgleichen. So wenig, wie man mit Biertrinken den Regenwald rettet. Es ist keine angenehme Nachricht, aber wahr ist: Wir belasten mit unserer Lebensweise die Umwelt. Und jeder von uns muss immer wieder neu die Entscheidung treffen, ob der Wochenend City Trip nach London wirklich zu seiner Lebensqualität beiträgt, oder ob er da nur ein fremdbestimmtes Konsumentenkonzept nachlebt.
Flugreisen verbieten? Keinesfalls. Das eigene Konsum- und Freizeitverhalten überdenken? Immer wieder! Mit Freunden und Familie durch den Welzheimer Wald zu streifen mag nicht den Coolness-Faktor eines Malediven-Urlaubs haben, emotional und sozial kann er uns aber sehr viel mehr geben, wenn wir uns darauf ein- und die Handys zu Hause lassen.
KR:
Vielen Dank, Herr Sommer für das aufschlussreiche Interview und Ihre kritischen Anregungen für einen effektiven Klimaschutz!