Welche Rechte braucht die Natur?

Der Rückgang der Artenvielfalt hat bedrohliche Ausmaße angenommen. Die natürlichen Lebensräume schwinden und mit ihr die Anzahl und Diversität an Tieren und Insekten. Wir waren zu Gast beim NaturVision-Filmfestival. Als Eröffnungsfilm lief eine Doku, die hinterfragt, ob oder inwiefern Tiere und Pflanzen Rechte haben sollten? Ein Wald kann nicht vor Gericht klagen, wenn er gerodet wird. Tiere können nicht ihr Recht auf Leben einklagen, wenn sie geschlachtet werden sollen. Warum hat die Natur eigentlich nicht die gleichen Rechte wie Menschen, sondern wird weiterhin als ein Objekt betrachtet, das nach Belieben wirtschaftlich ausgebeutet werden darf? Unser Nachhaltigkeitsleiter fragt nach bei der Regisseurin und Buchautorin Tanja Busse

Die Rechte der Natur

In deiner Doku „Können Robben vor Gericht ziehen?“ gehst du der rechtsphilosophischen Frage nach, wer eigentlich Rechte auf unserem Planeten besitzt.

Die Vorstellung darüber, wer Rechte besitzt, hat sich im Laufe der Geschichte kontinuierlich erweitert. Erst zählte nur der eigene Clan, dann auch die anderen Menschen – Männer – des gleichen Standes, schließlich alle Mitglieder einer Gesellschaft, also auch die Frauen und Kinder, oder auch anderer Gesellschaften. Jahrhundertelang hatten Kinder keine Rechte, ebenso wenig Gefangene, Fremde, Frauen, psychisch Kranke, Afroamerikaner und Indigene. Und immer, wenn jemand vorschlug, einer Gruppe Rechte zu verleihen, die vorher keine hatte, gab es heftigen Widerstand dagegen.

Der Stand lässt sich wie folgt skizzieren: Menschen und juristische Personen, wie Unternehmen, sind Rechtssubjekte – aber Pflanzen, Tiere, Flüsse und Ökosysteme sind nur Objekte. Über sie wird entscheiden, aber eigene Rechte haben sie nicht.

Es wird Zeit, dass sich das endlich ändert! Wir sind mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte – deshalb muss sich die Natur gegen ihre Zerstörung durch die Menschen wehren können. Es gibt viele Abkommen und Verträge und Gesetze, die die Natur und die Arten eigentlich schützen sollten, etwa das deutsche Tierschutzgesetz. Aber damit ist der Natur und den Tieren nicht geholfen, denn diese Gesetze kranken daran, dass die Tiere sie nicht einklagen können. Eben weil sie nicht als Rechtssubjekte vor Gericht ziehen können.

Wer als Rechtssubjekt anerkannt werden soll und müsste, wird insbesondere seit dem Buch von Christopher Stone „Should trees have standing“ im Jahre 1972 neu diskutiert.

Ja, die Idee mit den Rechten der Natur ist schon über fünfzig Jahre alt: Der amerikanische Jurist Christopher Stone hat ´72 vorschlagen, dass auch Tiere und natürliche Entitäten wie Flüsse oder Berge vor Gericht ziehen dürfen sollten. Er hat sich darauf berufen, dass sich die Vorstellungen der Menschen über Moral und Recht im Laufe der Geschichte immer wieder verändert haben. Es gab Zeiten, in der Menschen andere Menschen besaßen oder in denen Männer ihre Frauen besaßen. Die Rechtslage hat sich inzwischen geändert, Leibeigenschaft und Sklaverei wurden verboten, und auch das Moral- und Rechtsempfinden der meisten Menschen in diesen Fragen hat sich geändert – zum Glück!

Der Hamburger Rechtsanwalt Michael Günther hat 1988 versucht, den Vorschlag von Stone im deutschen Rechtsraum anzuwenden. Er ließ die Nordsee-Robben wegen der andauernden Vergiftung ihres Lebensraums gegen den damaligen Bundesverkehrsminister klagen. Der hatte die Verklappung von giftiger Dünnsäure in der Nordsee genehmigt, Hunderte Robben starben in der Folge – doch die Klage wurde abgewiesen. Robben seien im juristischen Sinne Sachen und damit nicht klagefähig, so hieß es damals.  

Doch seitdem hat sich viel geändert: 1990 hat der Deutsche Bundestag entschieden, dass Tiere juristisch nicht länger als Sachen zu behandeln sind. Und seit 2002 ist der Schutz der Tiere als Staatsziel im Grundgesetz verankert.

Tanja Busse vertritt die Position, dass die bestehenden Gesetze und Abkommen die biologische Vielfalt nicht ausreichend schützen, um das Sterben der Arten aufhalten zu können.

Ecuador gilt hier als weltweites Vorbild. Es ist das erste Land der Erde, dessen Verfassung die Natur zum Rechtssubjekt erhoben hat.

Das ist eine ganz wunderbare Entwicklung, die viele Länder der Welt inspirieren sollte. Artikel 71 der neuen ecuadorianischen Verfassung aus dem Jahr 2008 garantiert der Natur, das Recht zu existieren.

„Nature, or Pacha Mama, where life is reproduced and occurs, has the right to integral respect for its existence and for the maintenance and regeneration of its life cycles, structure, functions and evolutionary processes.“

Die Verfassung schützt ihre Lebenszyklen, ihre Struktur, ihre Funktionen und die evolutionären Prozesse. So hat es die verfassungsgebende Versammlung beschlossen. Vor allem der bekannte Denker Alberto Acosta hat sich dafür stark gemacht, für ihn sind die Rechte der Natur in der Verfassung Ecuadors ein Zusammenfließen von westlichem Recht und indigenem Denken. Sie sollen „Pachamama„, Mutter Natur, besser schützen. Der Weg dahin könnte das Konzept des „buen vivir“ sein, eines guten Lebens, das nicht Wachstum und den sogenannten Fortschritt zum Ziel hat, sondern ein sinnerfülltes Leben im Einklang mit Pachamama. Damit ist natürlich nicht sofort jede Umweltzerstörung gestoppt – aber einen großen Erfolg gab es schon: 2021 untersagte das Verfassungsgericht ein geplantes Bergbauprojekt im Regenwald Los Cedros.

https://youtu.be/6Qxe3TKhkqo